Was Buchhändler, ein Lama und Günter gemeinsam haben, November 2011
»Ich habe mein Brustkrebsjahr als eines meiner besten im Leben empfunden«, strahlt mich (Birte) eine junge Frau fröhlich an. Ihre hellen leuchtenden Augen funkeln mit der Deckenbeleuchtung um die Wette. Sie ist, nach unserem Vortrag in Kiel, zu uns gekommen, um das persönliche Gespräch zu suchen: Miriam Köthe.
Ich, als gebürtige Schleswig-Holsteinerin, kenne den Nachnamen Köthe nur allzu gut. Hinter dem Spitznamen »Köthi« verbirgt sich ihr Mann Carsten, der als Radio-Urgestein eines Privatsenders die Hörer früh morgens verbal wach küsst. Zu einer für mich unchristlichen Zeit, in der ich schon als Kieler Studentin (lang ist es her) die ersten Vorlesungsstunden seelenruhig verschlief.
Miriams erster Satz hallt als einzelnes Fragment wider: »Brustkrebs«. Dieses Wort trifft mich. Und die Überlegung, dass Ingos Burn-out im Vergleich zu Krebs eine Luxuskrankheit ist, verwerfe ich trotzdem sofort wieder. Diese Art der Vergleiche hinkt. Ich habe mir fest vorgenommen, Einzelschicksale nicht mehr bewerten und schon gar nicht vergleichen zu wollen!
Schnell verschwindet der Anflug meiner Betroffenheit, denn das Wort Krebs wird in meinem Kopf durch Günther verdrängt. Schwere durch Leichtigkeit. Ich erinnere mich an eine Textpassagen aus Miriams Buch, die ich im Internet unter
www.koethe-verlag.de bereits gelesen habe. Denn obwohl mir diese sympathische Frau unbekannt ist, weiß ich einige persönliche Dinge über Sie. Ich schmunzle bei der Erinnerung an ihre Perücke mit dem Namen Günter (die Haare, das Markenzeichen von Günter Netzer). Ich hätte meiner Perücke wahrscheinlich den einfachen Namen »Fiffi« gegeben. Beim Anblick dieser attraktiven Frau fällt mir die Vorstellung einer brettharten scheitelgeraden Günter-Perücke schwer. Denn Günter ist mittlerweile von Miriams echten Haaren verdrängt worden und fristet nur sicherlich ein einsames Dasein in einer dunklen Schachtel, denke ich beim Anblick ihrer gekräuselten Hochsteckfrisur.
Wir Frauen kommen ins unbefangene Plaudern. Dies ist wieder einer der Momente, in dem mich Ingo als Höhlenfrau schwatzend am Lagerfeuer mit anderen Frauen vor seinem geistigen Auge sitzen sieht. Ihn fasziniert immer wieder die weibliche Fähigkeit der Kommunikation, die uns mit in die evolutionsbiologische Wiege geschmissen worden ist.
Miriam und ich müssen in unserem Gespräch über ähnliche Erfahrungen lachen. Über Buchhändler, die sich echauffieren, weil »sich jeder Hanswurst mit einem eigenen Verlag selbständig macht und ein Buch schreibt«. Ja, wir finden es großartig Hanswürstchen zu sein. BEIDE. Denn auch Miriam hat ihre Brustkrebszeit zwischen zwei Buchrücken gepackt. Sie hat sich tatsächlich erdreistet, sich nicht an der verstaubten Buchbranche sinnlos aufzureiben, sondern »einfach zu machen«. Buch schreiben, Verlag gründen, selbstbestimmt sein. Und so amüsieren wir uns über viele ähnliche Erfahrungen, die wir im Zusammenhang mit unseren Buchprojekten gemacht haben. Der kleine Schritt, aus der homogenen Masse heraus, kitzelt viele ungeahnte Reaktionen hervor.
Als wir uns verabschieden tauschen Miriam und ich unsere Bücher aus. Sie bekommt unser »freigelassen« mit dem Thema Burn-out und ich erhalte ihr »Teufelchen in der Brust« mit ihrer Krebsgeschichte. Viele Buchseiten mit völlig unterschiedlichen Themen, Personen und Hintergründe wechseln den Besitzer. Eines haben die Bücher jedoch gemeinsam: Sie beschreiben aus zwei Perspektiven, nämlich die des jeweiligen Kranken und des Partners.
Und trotz der wenigen Berührungspunkte in den Krankengeschichten wollen wir die Erfahrungen des anderen lesen. Ganz bestimmt nicht aus Sensationslust, sondern weil gerade das Unterschiedliche oder der neue Blickwinkel die Sensibilität schärft und unterhaltend unser Wissen erweitert. Das Wissen über Krankheiten und Einzelschicksale unserer Mitmenschen.
Denn »Wer nichts weiß, muss glauben«. Keine schöne Vorstellung!
Koethe Verlag
Engel oder Bengel
Leben-Ideen-Kunst